„Guben - ein erfolgreiches Beispiel für den Strukturwandel“

Ein Gespräch mit Bürgermeister Fred Mahro über die Ansiedlungen internationaler Unternehmen in Guben.

Die Stadt Guben konnte jüngst zwei große Investitionen verkünden: Das US-Unternehmen Jack Link‘s, bekanntvor allem für die Herstellung der Minisalami BiFi, will sich in Guben ansiedeln. Zudem will das Unternehmen Rock Tech Lithium eine Produktion von Lithiumhydroxid aufbauen, welches für Akkus von E-Autos benötigt wird. Ein Gespräch mit Bürgermeister Fred Mahro:

Herr Mahro, Sie konnten Ende letzten Jahres gleich zwei große Ansiedlungen verkünden. Womit konnte Guben bei den Investoren punkten?
Hier spielen einige Faktoren eine wesentliche Rolle. Ein Investor erwartet die schnelle Verfügbarkeit der Flächen– und dort konnten wir punkten. Darüber hinaus bietet unser europäischer Wirtschaftsstandort zahlreiche Standortfaktoren, die die Unternehmen für ihr Investment benötigen. Deshalb wurden in den letzten Jahren mit diesem Ziel Flächen infrastrukturell und medial erschlossen. Zum anderen befindet sich die Region in einer Transformation, dem Strukturwandel. Entscheidend ist auch, dass die Stadt Guben exzellenten Wirtschaftsservice und Ansiedlungsbetreuung leistet, um Unternehmen für den Standort zu gewinnen und vor allem zu binden. Gerade die Ansiedlung der LSI Germany GmbH, u.a. Produzent der Marke BiFi, benötigte eine hohe Flexibilität in der Flächenbereitstellung vor der Standortentscheidung.

Was macht die Stadt Guben als Standort selbst für international tätige Unternehmen so attraktiv?
Guben ist kompakt strukturiert, offen für Erweiterungen ansässiger Unternehmen und steht innovativen Ausrichtungen gut aufgestellt gegenüber. Wir sind ein Standort von europaweit marktführenden Industrieunternehmen. Bei uns gibt es aber auch traditionelle Familienunternehmen mit einer über 100-jährigen Firmengeschichte. Garne der Trevira und Brötchen der Bäckerei Dreißig sind bekannt – aber vielen ist nicht bekannt, dass in Guben bereits einzigartige Produkte hergestellt werden, beispielsweise wird „die Beste Matratze Deutschlands“ im Gubener Industriegebiet produziert. Einmalig ist auch das Plastinarium,
die weltweit einzigartige Produktionsstätte der Plastination, ein Verfahren zur Konservierung biologischer Präparate. Hier werden alle Präparate für die Körperweltenausstellungen geschaffen, aktuell befinden sich die Gubener Exponate in Moskau, Amsterdam, Athen, Idaho (USA) und San José (USA). Unser Standort mit dem Cluster Kunststoff und Chemie ist besonders attraktiv, da Infrastruktur modern und komplex für Investoren zur Verfügung steht. Mit Rock Tech Lithium kommt nun ein neuer innovativer Zweig hinzu. In einer Zeit, in der der Stellenwert der alternativen Energien immer mehr zunimmt, kann unser Standort mit neuen Technologien weiterwachsen und wir freuen uns, dass wir gemeinsam mit Rock Tech Lithium an diesem Prozess teilnehmen können und auch davon partizipieren werden. Brandenburg bietet damit die komplette Wertschöpfungskette von der Lithium Produktion bis zum fertigen E-Auto. Unser Standort stellt sich damit breiter
und von der Weltwirtschaft unabhängiger für die Zukunft auf.

Welchen Stand haben die Verhandlungen und wie geht es jetzt weiter?
Die Verhandlungen mit beiden Investoren sind so weit abgeschlossen und alle notwendigen Verträge zwischen uns sind unterschrieben. Aktuell (Stand: 31. März 2022) befinden sich noch beide Unternehmen im Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Ich bin sehr sicher, dass dem Investor LSI Germany GmbH in den kommen den Wochen die Genehmigung erteilt wird, sodass das Unternehmen den Bau der Produktionsstätte noch im ersten Halbjahr 2022 beginnen kann. Da die Technologie des Lithiumhydroxid-Herstellers sehr komplex und neu für die beteiligten Behörden ist, wird das Genehmigungsverfahren länger andauern. Aktuell hat das deutschkanadische Unternehmen Rock Tech Lithium einen ersten Genehmigungsantrag eingereicht.

Lässt sich bereits sagen, wie viele Arbeitsplätze mit den Ansiedlungen entstehen werden und welche Berufe vor allem gefragt sein werden?
Rock Tech Lithium im Industriegebiet Guben wird zum Produktionsbeginn nach eigenen Angaben etwa 160 Mitarbeitende beschäftigen. Die Anforderungsprofile reichen dabei von Mitarbeitern in der Verwaltung und der Versorgung über Chemiker bis hin zu technischen Ingenieuren. Der amerikanische Investor wird in seiner ersten Ausbaustufe etwa 80 Arbeitsplätze schaffen. Hier steht das Handwerk im Vordergrund. Das alles ist natürlich ein Gewinn für unsere Region. Viel interessanter sind jedoch die Zweige und Branchen, die an diese Ansiedlung anknüpfen. Guben befindet sich zwischen Tesla (Grünheide), der BASF (Schwarzheide) und dem Industriestandort Schwarze Pumpe, also mittig im brandenburgischen Mobilitätsnetzwerk, und bietet damit den optimalen Standort auch für weitere Zulieferer der Konzerne.

Mit den Ansiedlungen kommt Bewegung in den Strukturwandel. Spüren Sie auch bei den Menschen in Guben etwas von der Aufbruchstimmung?
Die Ansiedlungen sind ein voller Erfolg für unsere Stadt, für die Region und den Prozess der Transformation. Brandenburg kann dadurch auch mit Kapazitäten in Guben zum Zentrum für die Entwicklung der Elektromobilität werden. Aber auch die anderen Ansiedlungen schaffen Arbeitsplätze und Perspektiven für die Stadt Guben. Dass sich gleich zwei hochrangige Unternehmen zeitgleich bei uns ansiedeln, ist wirklich etwas Besonderes. Die Erfahrungen aus dem Verlust vieler Industriearbeitsplätze und  gescheiterte Ansiedlungen Anfang dieses Jahrtausends haben uns Gubener vorsichtig werden lassen. In dieser Zeit wurden bereits andere Ansiedlungen angekündigt, zu denen es letztendlich nie kam. Bei Rock Tech Lithium und dem Investor Jack Links sind wir hier jedoch deutlich weiter und spätestens, wenn sich Kräne im Industrie-und im Gewerbegebiet drehen, wird die Zuversicht und der Optimismus in Guben steigen. Entscheidend ist, dass die Stadt Guben alle verfügbaren Ressourcen einsetzt, um die Zukunft für eine Stadt, in der es sich gut arbeiten und gut leben lässt, gemeinsam zu gestalten.

Haben Sie jetzt in Gubens Gewerbegebieten überhaupt noch Platz für weitere Ansiedlungen?
Die Gewerbe- und Industrieflächen in Brandenburg, aber auch in anderen Bundesländern sind Mangelware geworden. Städte und Gemeinden versuchen, schnellstmöglich neue Flächen zu erschließen, um diese an potenzielle Investoren zu vermarkten. Durch mehrere große und kleine Ansiedlungen bzw. Erweiterungen von  Bestandsunternehmen in den letzten Jahren ist dieser Effekt auch bei uns eingetreten. Aktuell sind wir dabei, weitere 18 Hektar im Industriegebiet zu entwickeln, um die Investitionsanfragen zu befriedigen. Vielleicht gelingt uns diese Erweiterung des Gewerbegebietes Deulowitz in Kooperation mit unseren Nachbarn in der Gemeinde Schenkendöbern.

Noch ein Blick auf jene Unternehmen, die bereitsin Guben aktiv sind: Gibt es dort Investitionspläne, sind dort Erweiterungen geplant?
Unsere Bestandsunternehmen sind und bleiben unser größtes Potenzial. Noch lassen sich die Auswirkungen durch die Corona-Pandemie und die Ukrainekrise nicht abschließend einschätzen, aber aus den zahlreichen Gesprächen mit unseren Unternehmerinnen und Unternehmern erfahre ich nicht nur Realitätssinn, sondern auch Optimismus. Und wer mit offenen Augen durch unsere Stadt fährt erkennt, dass sich das auch in Investitionen niederschlägt. Auch sonst tut sich einiges im Stadtbild. Eine der größten und wichtigsten Baustellen ist der Umbau der ehemaligen Pieckschule zum Pflegefachzentrum.

Welche Bauprojekte stehen seitens der Stadt demnächst an?
Diese Maßnahme ist die größte kommunale Investition seit Anfang der 1990er-Jahre. Im Umfeld werden die angrenzenden Straßen grundhaft saniert. Der Stadtpark wird im Zuge des INTERREG-Projektes „Europark“ jetzt endlich, 50 Jahre nach seiner Eröffnung, saniert. Es handelt sich dabei um ein gemeinsames INTERREG-Projekt zwischen den Städten Cottbus, Guben, Gubin und Zielona Gora. Die Neugestaltung des Sportzentrums in der Kaltenborner Straße hat ebenfalls begonnen. Durch die Modernisierung der Anlage soll ein leistungsfähiges Sportzentrum zur regionalen und überregionalen, aber auch grenzübergreifenden Nutzung in Guben entwickelt werden. Und nicht zu vergessen sind unsere Ortsteile. Noch nie wurde und wird in unseren Ortsteilen so umfangreich investiert, wie es zuletzt der Fall war.

Vielen Dank für das Gespräch.