Von Dornröschen zur Villa Kunterbunt

Ein Projekt mit der Europaschule stärkt das Vorhaben, die AOK-Villa in der Alten Poststraße 63 neu zu beleben.

Seit über 20 Jahren steht eines der schönsten Gubener Bauwerke leer, das im Volksmund meist als „AOK-Villa“ an seine besseren Zeiten erinnert. Vor zwei Jahren von der GuWo durch umfassende Sicherungsmaßnahmen vorm Zerfall gerettet, soll es nun aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden. Wo sonst Ingenieure und erfahrene Planer an Lösungen schmieden, haben diesmal junge Gubener Schüler ihrer Kreativität und ihrem unverstellten Blick freien Lauf gelassen. Herausgekommen ist eine spannende Idee, die selbst bei Verantwortlichen der Stadt und der GuWo Begeisterung auslöste. Aus dem vereinsamten Gemäuer soll eine Villa Kunterbunt als verbindender Begegnungsort der Einheimischen beiderseits der Neiße werden.

Wenn Schüler Ihre Stadt entdecken

Den Rahmen für das Schulprojekt lieferte eine Initiative der Brandenburgischen Architektenkammer. Unter dem Motto „Die Stadtentdecker“ machen sich seit 2013 Schüler in vielen Orten des Landes gemeinsam mit Architekten auf den Weg, um Ideen für die Zukunft ungenutzter Bauwerke ihrer Heimatstadt zu entwickeln. Dabei sollen die Jugendlichen ihr unmittelbares Umfeld samt Gestaltungsmöglichkeiten bewusster wahrnehmen, andererseits Stadtplaner und Entscheidungsträger aber auch Impulse von jener Generation erhalten, die künftig das Stadtleben gestalten soll. In Guben waren es die Zehntklässler aus dem Kurs „Wahlpflicht Kunst“ der Europaschule, die in Gruppen von zwei bis drei Schülern für gleich sechs Vorhaben Planungen und Modelle ent-
wickelten. Die Ergebnisse wurden zum
 Jahresbeginn vor großem Publikum und 
im Beisein von Vertretern aus Landes
ministerien und der Stadtverwaltung
präsentiert – und überraschten mit jeder 
Menge pfiffiger Ideen.


Ein Ausritt durch die Altstadt


Die Initialzündung für die Stadtentdecker in Guben kam vonseiten der
 Stadt, schnell war die Europaschule im
 Boot und über einen Aufruf der Archi
tektenkammer fand schließlich eine 
kompetente und gut harmonisieren
de Projektleitung zueinander. Sowohl
 Architekt und „Wahl-Gubener“ Chris
tian Kühne vom Planungsbüro Pro
jekt Bau Kluge aus Schenkendöbern 
als auch Kunstlehrerin Heike Janus kannten das Konzept bereits, stimm
ten sich inhaltlich ab und nahmen die
 14 Schüler des Kunstkurses mit auf
eine spannende Unterrichtsreise. Zum
 Glück begann diese im Herbst 2019 
mit gleich zwei Stadtspaziergängen:
 einem ersten durch die Obersprucke
 und den WK IV folgte ein weiterer
durch die Altstadt. Hier waren Fiona
 Kröger und Jonas Kegel fasziniert von
 den Möglichkeiten der alten AOK-Vil
la. Die Nachwuchsarchitekten durften 
das sonst gesperrte Gebäude dank der
 GuWo sogar ausführlich von innen
 besichtigen. Das „Insiderwissen“ hat
 man den tollen Ergebnissen dann auch
wirklich angemerkt. Geht es nach den 
Schülern, so wird die Zukunft der Villa
 vor allem im Inneren kunterbunt.


Gubens bunte Zukunft


Es ist beeindruckend, wie detailliert 
die Schüler in wenigen Wochen ihre 
Planungen zur räumlichen Nutzung 
der rund 1.100 qm Nutzungsfläche visualisiert haben. Dabei haben sie das
 Gebäude in Ebenen mit unterschied
lichen Funktionen aufgeteilt. Überraschend – und alles andere als abwegig
ist die Idee für eine Kita ausgerechnet 
im Dach-und Obergeschoss. Bei der Besichtigung hatten die Schüler die alten
 Paternoster gesehen, mit denen Mahlzeiten und Geschirr problemlos aus der
 Küche im Kellergeschoss geliefert wer
den können. Im Hofbereich schafft ein
gläserner Fahrstuhl in der Vision der
 Schüler einen modernen Kontrast zur
historischen Villa. Im Erdgeschoss sollen ein Restaurant und eine Cafeteria im
 Wintergarten die Nutzung erweitern, im
 Kellergeschoss eine stilvolle Bar unter
einem beeindruckenden Gewölbe ein
 besonderes Gastronomieerlebnis ab
runden. Die Idee, das Haus rund um die
Uhr unterschiedlichsten Nutzergruppen
und allen Generationen zu öffnen, gab 
völlig neue Impulse. Die einzigartige
Lage der Villa, direkt an der Fußgängerbrücke zur Neißeinsel und nach Gubin, 
könnte gerade junge Familien aus der
 polnischen Nachbarstadt ansprechen 
und so den Brückenschlag der Europastadt über eine gute, zweisprachige Bildung der Kinder verstärken. Hier passt
 auch das kindliche Eingangsbild vom
 Dornröschenschloss, das nun wachgeküsst werden kann. Die Vision für alle
 Gubener liegt aber in der Nutzungsviel
falt – so könnte sich die historische Hül
le in ihrem Innenleben zu einer wahren
 „Villa Kunterbunt“ entfalten.

GuWo-Geschäftsführer Martin Reiher war gleich aus mehreren Grün
den von den Ideen angetan: „Sowohl
 baulich als auch funktional hat uns
 die innovative Idee zur Verlegung der
 Kita in die oberen Geschosse beeindruckt. Kombiniert mit einer Gastronomie könnte direkt an der Neiße ein
 Ort entstehen, der Gubener beiderseits der Neiße von einem besonderen Bildungsangebot für Kinder bis 
hin zu einem stilvollen Begegnungsort für alle Bewohner weiter zusammenbringt. In beiden Bereichen sehe
 ich Bedarf – und die Kombination 
erschließt viele Synergien. Außen
historische Villa, innen kunterbunter
 Generationentreff – das gefällt mir!“