Seit über 20 Jahren steht eines der schönsten Gubener Bauwerke leer, das im Volksmund meist als „AOK-Villa“ an seine besseren Zeiten erinnert. Vor zwei Jahren von der GuWo durch umfassende Sicherungsmaßnahmen vorm Zerfall gerettet, soll es nun aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden. Wo sonst Ingenieure und erfahrene Planer an Lösungen schmieden, haben diesmal junge Gubener Schüler ihrer Kreativität und ihrem unverstellten Blick freien Lauf gelassen. Herausgekommen ist eine spannende Idee, die selbst bei Verantwortlichen der Stadt und der GuWo Begeisterung auslöste. Aus dem vereinsamten Gemäuer soll eine Villa Kunterbunt als verbindender Begegnungsort der Einheimischen beiderseits der Neiße werden.
Wenn Schüler Ihre Stadt entdecken
Den Rahmen für das Schulprojekt lieferte eine Initiative der Brandenburgischen Architektenkammer. Unter dem Motto „Die Stadtentdecker“ machen sich seit 2013 Schüler in vielen Orten des Landes gemeinsam mit Architekten auf den Weg, um Ideen für die Zukunft ungenutzter Bauwerke ihrer Heimatstadt zu entwickeln. Dabei sollen die Jugendlichen ihr unmittelbares Umfeld samt Gestaltungsmöglichkeiten bewusster wahrnehmen, andererseits Stadtplaner und Entscheidungsträger aber auch Impulse von jener Generation erhalten, die künftig das Stadtleben gestalten soll. In Guben waren es die Zehntklässler aus dem Kurs „Wahlpflicht Kunst“ der Europaschule, die in Gruppen von zwei bis drei Schülern für gleich sechs Vorhaben Planungen und Modelle ent- wickelten. Die Ergebnisse wurden zum Jahresbeginn vor großem Publikum und im Beisein von Vertretern aus Landes ministerien und der Stadtverwaltung präsentiert – und überraschten mit jeder Menge pfiffiger Ideen.
Ein Ausritt durch die Altstadt
Die Initialzündung für die Stadtentdecker in Guben kam vonseiten der Stadt, schnell war die Europaschule im Boot und über einen Aufruf der Archi tektenkammer fand schließlich eine kompetente und gut harmonisieren de Projektleitung zueinander. Sowohl Architekt und „Wahl-Gubener“ Chris tian Kühne vom Planungsbüro Pro jekt Bau Kluge aus Schenkendöbern als auch Kunstlehrerin Heike Janus kannten das Konzept bereits, stimm ten sich inhaltlich ab und nahmen die 14 Schüler des Kunstkurses mit auf eine spannende Unterrichtsreise. Zum Glück begann diese im Herbst 2019 mit gleich zwei Stadtspaziergängen: einem ersten durch die Obersprucke und den WK IV folgte ein weiterer durch die Altstadt. Hier waren Fiona Kröger und Jonas Kegel fasziniert von den Möglichkeiten der alten AOK-Vil la. Die Nachwuchsarchitekten durften das sonst gesperrte Gebäude dank der GuWo sogar ausführlich von innen besichtigen. Das „Insiderwissen“ hat man den tollen Ergebnissen dann auch wirklich angemerkt. Geht es nach den Schülern, so wird die Zukunft der Villa vor allem im Inneren kunterbunt.
Gubens bunte Zukunft
Es ist beeindruckend, wie detailliert die Schüler in wenigen Wochen ihre Planungen zur räumlichen Nutzung der rund 1.100 qm Nutzungsfläche visualisiert haben. Dabei haben sie das Gebäude in Ebenen mit unterschied lichen Funktionen aufgeteilt. Überraschend – und alles andere als abwegig ist die Idee für eine Kita ausgerechnet im Dach-und Obergeschoss. Bei der Besichtigung hatten die Schüler die alten Paternoster gesehen, mit denen Mahlzeiten und Geschirr problemlos aus der Küche im Kellergeschoss geliefert wer den können. Im Hofbereich schafft ein gläserner Fahrstuhl in der Vision der Schüler einen modernen Kontrast zur historischen Villa. Im Erdgeschoss sollen ein Restaurant und eine Cafeteria im Wintergarten die Nutzung erweitern, im Kellergeschoss eine stilvolle Bar unter einem beeindruckenden Gewölbe ein besonderes Gastronomieerlebnis ab runden. Die Idee, das Haus rund um die Uhr unterschiedlichsten Nutzergruppen und allen Generationen zu öffnen, gab völlig neue Impulse. Die einzigartige Lage der Villa, direkt an der Fußgängerbrücke zur Neißeinsel und nach Gubin, könnte gerade junge Familien aus der polnischen Nachbarstadt ansprechen und so den Brückenschlag der Europastadt über eine gute, zweisprachige Bildung der Kinder verstärken. Hier passt auch das kindliche Eingangsbild vom Dornröschenschloss, das nun wachgeküsst werden kann. Die Vision für alle Gubener liegt aber in der Nutzungsviel falt – so könnte sich die historische Hül le in ihrem Innenleben zu einer wahren „Villa Kunterbunt“ entfalten.
GuWo-Geschäftsführer Martin Reiher war gleich aus mehreren Grün den von den Ideen angetan: „Sowohl baulich als auch funktional hat uns die innovative Idee zur Verlegung der Kita in die oberen Geschosse beeindruckt. Kombiniert mit einer Gastronomie könnte direkt an der Neiße ein Ort entstehen, der Gubener beiderseits der Neiße von einem besonderen Bildungsangebot für Kinder bis hin zu einem stilvollen Begegnungsort für alle Bewohner weiter zusammenbringt. In beiden Bereichen sehe ich Bedarf – und die Kombination erschließt viele Synergien. Außen historische Villa, innen kunterbunter Generationentreff – das gefällt mir!“